Gute Arbeit 4.0 ist möglich

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16.07.2015 Interview mit Detlef Wetzel

Wie sieht gute Arbeit 4.0 aus? Diese Frage stellte sich Detlef Wetzel, Erster Vorsitzender der IG Metall, und besuchte Betriebe und Universitäten. Im Interview berichtet er von seinen Begegnungen, was ihn dabei besonders berührte und warum er ein Buch darüber schrieb.

Alle reden von der Digitalisierung der Arbeitswelt ...

Detlef Wetzel: ... und das ist auch gut so. Vor allem wir Gewerkschafter müssen über gute Arbeit 4.0 reden. Ich bin der Meinung, dass drei Megatrends - die Digitalisierung, der demografische Wandel und die Beschleunigung der Wirtschaft - die Arbeitswelt verändern werden. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Nur wenn wir auf den Wandel vorbereitet sind, können wir die Interessen der Beschäftigten vertreten.

Du hast einen persönlichen Zugang zum Thema gewählt.

Das Thema beschäftigt mich. Deshalb habe ich Betriebe, Universitäten und Menschen besucht. Ich wollte den Wandel der Arbeitswelt besser einschätzen können.

Was hast Du erlebt?

Es gibt bereits unglaublich viele Orte, wo nach Lösungen für die Arbeitswelt von morgen gesucht wird oder auch schon Lösungen gefunden wurden.

Welche Lösungen haben Dich besonders begeistert?

Bevor ich darauf antworte, muss ich erst einmal erklären, warum ich mich vor Ort umgeschaut habe. Ich wollte mit Menschen sprechen, die Lösungen für gute Arbeit 4.0 suchen, ihre Ideen hören und von ihnen lernen. Diskussionen öffnen den Blick auf Chancen und Risiken der Industrie 4.0 und erweitern somit den Blick auf Möglichkeiten, Digitalisierung zu gestalten.

Gibt es bereits eine Fabrik 4.0?

Ich habe mir an der Technischen Universität in Darmstadt eine Lernfabrik angeschaut.

Was ist das denn?

Diese Lernfabrik dient seit 2007 als Aus- und Weiterbildungszentrum. Mehr als 2500 Studierenden und 1000 Beschäftigten aus der Industrie wurde dort bislang vermittelt, wie man Produktionsprozesse effizienter gestaltet. Die Umsetzung erfolgt anhand der kompletten Wertschöpfungskette eines Unternehmens: vom Wareneingang des Rohmaterials bis zum Versand der Fertigware.

Das alles wird dort auf 500 Quadratmetern simuliert

Dort kann man bereits die Veränderungen der Arbeitsbedingungen durch cyberphysische Produktions- und Assistenzsysteme analysieren. Und es ist ein interessantes Modell, um geeignete Qualifizierungsmaßnahmen für die Industrie 4.0 zu erkennen.

Konkret ...
... wie müssen wir die betriebliche Ausbildung an die neuen Bedürfnisse anpassen? Eine innovative Industrie gibt es nur mit qualifizierten Fachkräften.
Gerade beim Thema Bildung liegt ja einiges im Argen.

Leider. Aber es gibt auch Leuchttürme. Zum Beispiel Porsche. Statt nur Abiturienten einzustellen - was das Unternehmen durchaus könnte - gehen Porsche und der Betriebsrat einen anderen Weg: Einen Teil der Ausbildungskapazitäten vergeben sie an Jugendliche, die sonst nirgendwo eine Chance bekommen hätten.

Wie funktioniert das?

Sie machen ein Förderjahr. Das erleichtert den Jugendlichen den Start in die Ausbildung. Mich hat es sehr berührt, als mir einer dieser Jugendlichen sagte: "Du kommst aus Deiner vorigen Welt, da bist Du eine Raupe - und im Förderjahr wirst Du zum Schmetterling." Das zeigt: Förderung kann gelingen.

Hast Du auch gute Beispiele für Vereinbarkeit gesehen?

Einige. Ich habe mir das Vereinbarkeitsmodell bei Gothaer Systems in Köln angeschaut. Dort wurde mit den Beschäftigten ein Arbeitszeitsystem entwickelt, das ihnen eine weitgehende Balance zwischen Arbeit und Leben ermöglicht.

Was hat Dich noch bewegt?

Gesundheit ist ein großes Thema. Ob psychischer Stress, mobiles Arbeiten oder Schichtarbeit: Arbeit darf nicht krank machen. Bei Rasselstein in Neuwied haben sie einen Weg gefunden, gesünder zu arbeiten. Dort gibt es umfassende Angebote, wie Ernährungsberatung, Eingliederungsmanagement, Gesundheitschecks, Fitness sowie Stressbewältigung. Das alles finanziert, unterstützt und fördert das Unternehmen.

Sind diese Beispiele Modelle für die Zukunft?

Den einen richtigen Weg gibt es nicht. Dazu sind die Probleme in den Betrieben viel zu unterschiedlich. Worum es mir geht, ist, zu zeigen, dass wir schon heute auf die Zukunft der Arbeit einwirken und sie sozialer gestalten können. Doch dazu müssen wir uns um eine Agenda kümmern. Nur wenn wir die Zukunft der Arbeit gemeinsam mit allen Beteiligten gestalten, können wir etwas gegen die zunehmende Ungleichheit und für mehr faire Lebenschancen tun.

Warum hast Du ein Buch über Deine Erlebnisse vor Ort geschrieben?

Es gibt bereits kluge und innovative Lösungen für die künftige Arbeitswelt. Man muss sie nur der Öffentlichkeit zugänglich machen. Ich wünsche mir, mit meinem Buch einen Beitrag dazu zu leisten.

Was hast Du gelernt?

Die Gespräche haben mich in meiner Auffassung bestätigt, dass Ideen, Lösungen oder Papiere nicht aus allwissenden Expertenzirkeln oder Funktionärsversammlungen kommen können. Wir müssen gemeinsam mit den Betroffenen und allen Interessierten in den Betrieben nach guten Ideen suchen. Je mehr dabei mitmachen, desto klarer werden die Ziele und desto eher erreichen wir unser gemeinsames Ziel: sichere und faire Arbeit.


Detlef Wetzel - Arbeit 4.0: Was Beschäftigte und Unternehmen verändern müssen - Herder Verlag - ISBN 978-3-451-31306-6 - 18,99 Euro

Letzte Änderung: 02.07.2015