Arbeiten am Limit
Mehr Verantwortung und erweiterte Zuständigkeiten - das klingt im ersten Moment durchaus positiv. Doch auch wenn das Büro größer, heller und eine Etage höher liegt - das Ergebnis ist oft ein Mehr an Aufgaben. Mit einem höheren Gehalt wird das selten ausgeglichen.
Der Einkauf heißt plötzlich Materialbeschaffungscenter und die Aufgaben der MitarbeiterInnen dort haben sich vervielfacht. Neben den klassischen Aufgaben des Einkaufs sind eine ganze Reihe weiterer Tätigkeiten dazu gekommen. Auch der Kollege an der CNC-Maschine bedient nicht nur eine, sondern noch eine weitere zusätzliche Anlage und wechselt permanent zwischen zwei Arbeitsplätzen. Auch bei IT gibt es mehr Zuständigkeiten. Die KollegInnen dort sind plötzlich für die Bereitstellung weiterer Dienstleistungen verantwortlich.
Mehr Eigenverantwortung
Es klingt oft ganz harmlos: Mehr Verantwortung, erweiterte Zuständigkeiten und veränderte Bedingungen. Der Chef fordert die MitarbeiterInnen nicht auf, länger zu arbeiten. Abläufe werden einfach restrukturiert. Die MitarbeiterInnen sind dann für so viele Abläufe und Aufträge zuständig, dass sie ganz von selbst länger arbeiten. Statt Anweisungen gibt es Verantwortung. Wenn es optimal läuft, dann bringt die neue Situation der Belegschaft mehr Freiheiten. Doch diese sind meistens mit einem höheren Arbeitsdruck verbunden.
Bereits vor der letzten Wirtschaftskrise wurden viele Belegschaften mit dem Ziel der Kostenreduzierung "verschlankt" und der Arbeitseinsatz flexibilisiert. Betriebswirtschaftliche Controlling-Systeme wurden nach internationalen Prinzipien eingeführt und der maßlose Verwertungsdrang fand in ständigen Restrukturierungen der Unternehmen seinen Ausdruck. Nicht selten machen sich danach die Beschäftigten die Wettbewerbsfähigkeit "ihres" Betriebes zu ihrer eigenen Sache. Diese Entwicklung ist keine Ausnahme. Die Beschäftigten haben dann zwar einerseits mehr Zuständigkeiten, doch sie können selten Einfluss auf die Rahmenbedingungen, wie Budget oder Personalschlüssel, nehmen. Hauptsache es läuft - heißt es dann. Doch unter solchen Bedingungen erzeugt Selbstverantwortung vor allem eins: Angst, die übertragenen Aufgaben nicht zu schaffen. Und das führt schließlich dazu, dass Mitarbeiter länger arbeiten oder auch das Projekt in ihrer Freizeit fertig stellen. Da kann es schon mal vorkommen, dass die Kollegin aus dem Einkauf abends ausstempelt und sich anschließend wieder an ihren Schreibtisch setzt.
Steigender Arbeitsdruck
"Du musst das einfach besser organisieren", heißt es dann. Doch es ist nicht nur eine Frage der Organisation. Die übertragenen Arbeitspakte sind zu groß. Das belegt auch die Befragung unter den Beschäftigten der IG Metall im Frühjahr 2013. Daran hatten sich mehr als eine halbe Million Menschen beteiligt. Fast 80 Prozent der TeilnehmerInnen gaben an, immer mehr arbeiten zu müssen. Für fast jeden Dritten ändert sich die tägliche Arbeitszeit "ständig" oder "häufig" kurzfristig. Jede/r Vierte bestätigte zudem, dass sie/er ständig beziehungsweise häufig noch außerhalb der regulären Arbeitszeit erreichbar sein muss. Da ist es nicht verwunderlich, dass viele der Beschäftigten über Stress und Zeitdruck klagen.
Schon jetzt sieht sich jede/r Zehnte der Befragten den wachsenden Anforderungen nicht mehr gewachsen. Weitere knapp 30 Prozent sehen dies überwiegend so. Es besteht großer Handlungsbedarf. Tatsächlich sind derartige Umstände Raubbau an der Arbeitskraft und der Gesundheit der Beschäftigen. Viele kommen krank zur Arbeit, leisten unbezahlte Mehrarbeit, weil sonst das Budget ihrer Abteilung zu stark belastet würde und weil das als normal angesehen wird. Die Geschäftsführung dagegen steuert den Prozess indirekt über die Rahmenbedingungen und Unternehmensziele.
Klare Regeln für eine humanere Arbeitsgestaltung
Die Novellierung des Arbeitsschutzgesetzes durch den Deutschen Bundestag im Juni 2013 war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Jetzt hat der Gesetzgeber klargestellt, dass Unternehmen auch bei arbeitsbedingtem Stress und psychischen Belastungen dazu verpflichtet sind, vorbeugend tätig zu werden. Notwendig ist aber jetzt eine konkrete Anti-Stress-Verordnung - das fordert die IG Metall. Außerdem fordert die Gewerkschaft faire Arbeits- und Leistungsbedingungen. Erforderlich sind Arbeitsorganisationen, die neue Arbeitsformen und beteiligungsorientierte Führungs- und Personaleinsatzstrategien umsetzen. Mindeststandards müssen definiert werden und die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte zu Arbeitsgestaltung und Leistungsbemessung müssen erweitert werden.
Letzte Änderung: 17.07.2013