Nevin Akar

Nevin Akar / Foto: IG Metall Esslingen

23.09.2015 Ehemalige Betriebsratsvorsitzende des Werks Großbettlingen der Norgren GmbH

SWR-Interview / Copyright: IG Metall Esslingen

Nevin, du bist seit 2005 Mitglied in der IG Metall. Wie war das damals? Warum bist du Gewerkschaftsmitglied geworden?

Ich bin damals in ein ziemlich alteingesessenes Betriebsratsgremium gewählt worden, das in seiner Kultur noch aus den Zeiten geprägt war, als Norgren noch Herion hieß und ein Familienunternehmen war. Ich war mit der Vertretungspolitik und den Entscheidungswegen des Betriebsrats nicht einverstanden.

Mit der IG Metall bin ich durch Teilnahme an den BRV-Tagungen in Berührung gekommen. Schnell habe ich festgestellt, hier werde ich verstanden, das ist mein arbeitspolitisches Denken, das sind meine Wertvorstellungen, insbesondere was mein Selbstverständnis als ArbeitnehmerInnenvertretung angeht.

Durch neue BR-Mitglieder und die enge Zusammenarbeit mit der IG Metall hat sich auch unser Betriebsrat dann zu einem sehr guten Team entwickelt.

Nevin (Mitte) mit ihrem Norgren-Betriebsratsgremium / Foto IG Metall Esslingen

Du warst zwölf Jahre Betriebsratsmitglied und zuletzt fast vier Jahre Betriebsratsvorsitzende bei Norgen: Frau, jung, alleinerziehende Mutter und Migrantin ... Gab es Probleme oder spielte das keine Rolle?

Dass ich Migrantin war, hat nur insofern eine Rolle gespielt, dass ich die türkischen Kolleginnen bei sprachlichen Angelegenheiten unterstützen konnte, aber Negatives habe ich deswegen nicht erfahren. Als alleinerziehende Mutter war ich schon immer in Vollbeschäftigung, weil ich meinen Sohn finanziell unabhängig versorgen wollte.

Das war ein Thema des richtigen Zeitmanagements und einiges an Verzicht, aber es hat sich gelohnt, dieses Projekt war erfolgreich :-) . Es waren eher die Eigenschaften Frau, jung und vor allem "nur" Montiererin, die mich viel Energie und Überzeugungsarbeit gekostet haben, um Akzeptanz und Respekt zu erreichen - sei es in der Zusammenarbeit im Gremium - das funktionierte dann sehr gut - aber vor allem auch mit der Arbeitgeberseite.

Nevin on tour / Copyright: IG Metall Esslingen

Dein persönliches gewerkschaftliches Highlight war sicher der 9-wöchige Arbeitskampf um den Erhalt der Arbeitsplätze bei Norgren in Großbettlingen? Was hat dich am meisten beeindruckt und nachhaltig geprägt?

Es hat meine politischen Einstellung gestärkt, dass unternehmerische Freiheit ohne soziale Verantwortung und eine wettbewerbsbedingte Gewinnmaximierungspolitik nicht das Wirtschaftssystem eines demokratischen Sozialstaates sein kann, wenn der wichtigste Teil dieser Wirtschaft, die abhängig Beschäftigten dafür geopfert werden und die Reichen noch reicher werden.

Beeindruckt haben mich das Vertrauen und die Unterstützung meiner Kolleginnen und Kollegen und natürlich die wertvollen Erfahrungen, wie Wertschätzung, Zusammenhalt, Solidarität und Respekt.

Nevin (unter dem WIR) auf einer Kundgebung in Nürtingen / Copyright IG Metall Esslingen

Ende 2013 wurde das Großbettlinger Norgren-Werk geschlossen. Was machst du seither und wie sehen deine beruflichen Pläne aus?

Ich habe mich entschieden auch weiterhin die Rechte und Interessen von Kolleginnen und Kollegen zu vertreten und mitzuwirken, diese zu verbessern. Aus diesem Grund habe ich ein viermonatiges Praktikum bei der IG Metall Gaggenau gemacht und anschließend das Studium an der Europäischen Akademie der Arbeit abgeschlossen. Im November beginne ich mit meiner Ausbildung im Traineeprogramm der IG Metall und ich freue mich darauf.

Welche Themen sollte die IG Metall deiner Meinung nach künftig angehen?

Ein Thema, mit dem ich direkt und immer wieder konfrontiert war, ist die prekäre Beschäftigung. Auch wenn durch die Einführung des Mindestlohns ein großer Schritt in die richtige Richtung getan ist, müssen wir weiterhin einer Umgehung der Arbeitnehmerrechte durch Werkverträge, Leiharbeit, Scheinselbstständigkeit etc. entgegenwirken. Insbesondere auf europäischer Ebene sollte möglichst eine einheitliche Arbeits- und Lohnpolitik mit Mindeststandards eingeführt werden. Nicht zuletzt um Ausbeutung der Beschäftigten und das Auseinanderdriften der Vermögens- und Einkommensverteilung zu verhindern.

Nevin beim IGM-Einsatz im September 2015 / Copyright: IG Metall Esslingen

Natürlich interessiert uns auch, wie du deine Freizeit verbringst, ob du Hobbys hast ...

Besonders intensiv und regelmäßig habe ich Spinning gemacht, aber seit der Auseinandersetzung bei Norgren und meinem ständigen Reisen während des Studiums war das nicht mehr so möglich. An den wenigen Wochenenden zu Hause habe ich gerne meine Zeit mit meinen Kindern verbracht, die mich immer unterstützt haben. Jetzt will ich aber wieder aktiv Sport machen und an ruhigen Sonntagen hol ich vielleicht auch meine verstaubte Staffelei aus der Ecke und male das eine oder andere Bild.

Welches Buch hast du als letztes gelesen?

"Hungerwinter - Deutschlands humanitäre Katastrophe 1946/47" von Alexander Häusser + Gordian Maugg
und "28 Tage lang" von David Safier, ein bewegender Roman über das Warschauer Ghetto

Und welchen Kinofilm hast du als letztes gesehen?

Die Minions und Jurassic Parc, um der Realität ein bisschen zu entkommen :-)

Verrätst du uns dein Lebensmotto?

Aufrichtigkeit und Respekt! Behandle jeden so, wie du behandelt werden willst.

Nevin Akar / Foto: Privat

Gibt es etwas, was du schon immer mal sagen wolltest?

Der Satz "Das bringt sowieso nichts!" gibt es für mich nicht. Gebt nicht auf, eure Ziele zu verfolgen, denn nur wenn man es aus Überzeugung versucht, sind sie auch zu erreichen und nur durch eigene Überzeugung kannst du auch andere mitnehmen.

Liebe Nevin, herzlichen Dank für deine interessanten Antworten. Wir wünschen dir persönlich und in der IG Metall alles Gute und freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit mit dir!


Die Fragen stellte Heike Diesing

Letzte Änderung: 17.09.2015