Umbruch in der Automobilregion
REGION TROTZ KRISE GUT AUFGESTELLT
"Auch wenn die Region Stuttgart von der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung durch ihre starke Fokussierung auf das Auto besonders stark betroffen ist, darf das nicht den Blick darauf verstellen, dass wir eine hochinnovative Region mit vielen qualifizierten Beschäftig-ten sind", erklärt der IG Metall Sprecher Dieter Knauß anlässlich der Präsentation des sieb-ten Strukturberichts für die Region Stuttgart. Das belegen nicht nur die vorangegangen Strukturberichte. "Wenn wir es schaffen, Beschäftigung zu halten und Innovationen voran-zutreiben, haben wir als Region gute Chancen gestärkt aus der Krise hervorzugehen.
ENGE VERFLECHTUNG VON DIENSTLEISTUNG UND INDUSTRIE
Die Anzahl der Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich nimmt seit Jahren zu, während die Beschäftigung im industriellen Sektor weniger wird. Handel, personenbezogene und unter-nehmensbezogene Dienstleistungen, haben jeder
für sich mittlerweile deutlich mehr Beschäftigte als die Unternehmen im Kern des Automobil-Clusters.
Dies liegt zum einen an der kontinuierlich steigenden Produktivität der Beschäftigten im industriellen Bereich zum anderen aber auch an der Verlagerung von Arbeitsplätzen aus den Industrieunternehmen heraus. Insbesondere
die unternehmensnahen Dienstleistungen konnten in den letzten Jahren davon profitieren. Nicht nur Anbieter von einfachen Dienst-leistungen etwa im Bereich der Gebäudereinigung, sondern auch Entwicklungs- und Personaldienstleistungen
sind stark gewachsen.
Hinter dem Zuwachs im Dienstleistungssektor verbergen sich jedoch auch viele atypische Beschäftigungsverhältnisse. So ist der Anteil der Teilzeitbeschäftigten 2008 insgesamt auf 16 % gestiegen. Teilzeit findet sich jedoch
hauptsächlich im Dienstleistungssektor und bei Frauen. Zugenommen haben auch die "geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse": inner-halb von zwei Jahren ist die Zahl der Mini-Jobs auf knapp 260.000 gestiegen. Damit
kommen auf 100 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte etwa 25 Mini-Jobs, auch hier wieder mit Schwerpunkt im Dienstleistungsbereich.
JEDER SECHSTE ARBEITSPLATZ HÄNGT AM AUTOMOBIL
2008 war jeder zehnte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in der Region bei Daimler, Bosch und Porsche beschäftigt. Zehn der hundert weltweit größten Auto-Zulieferer haben ihren Hauptsitz in der Region Stuttgart
oder sind mit Tochterunternehmen vertreten.
Neben den Großen der Branche prägen über 400 kleinere und mittlere Zulieferer den wich-tigsten deutschen Standort der Automobilbranche. Nicht alle lassen sich auf den ersten Blick dem Automobilbau zuordnen. So ist ein Teil
des Maschinenbaus und der Elektroin-dustrie, aber auch der Glas-, Textil-, Chemie- und Möbelindustrie und des Handwerks - und zwar nicht nur des Kfz-Handwerks - dem Automobil zuzurechnen. Mittelbar hängt damit jeder sechste
Arbeitsplatz am Automobil.
Die hochgradige Spezialisierung beim Antriebsstrang, der Ausstattung, dem Fahrwerk, der Karosserie und der Elektrik deckt eine umfassende Wertschöpfungskette ab. Die räumliche Konzentration von ausgebildeten Arbeitskräften
und einer breiten Forschungs- und Ent-wicklungslandschaft machen den Standortvorteil der Region Stuttgart aus.
Die starke Ausrichtung auf Automobil und Export hat in der Wirtschaftskrise aber auch bestätigt, was wir schon lange befürchtet haben. Bereits 1989 hat das IMU Institut im ers-ten Strukturbericht - damals noch für den
"Wirtschaftsraum Stuttgart" - auf diese "Gefähr-dung" hingewiesen worden.
MIT QUALIFIKATION FACHKRÄFTEMANGEL VORBEUGEN UND QUALITÄT SICHERN
"Damit der letzte Tag der Krise nicht der erste Tag des Fachkräftemangels wird, fordern wir", so Knauß, "die konjunkturelle Unterauslastung mit Kurzarbeit zu überbrücken. Bisher konnte der Anstieg der Arbeitslosen in
der Region durch diese Maßnahmen noch relativ niedrig gehalten werden, wie die Zahlen zeigen: bis Juni 2009 waren 83.000 Kurzarbeiter gemeldet". Knauß plädiert dafür, die Kurzarbeit stärker als bisher zur
Qualifizierung zu nutzen und damit einer künftigen Facharbeiterlücke vorzubeugen.
Wer Produkte von höchster Qualität herstellt, muss auf Ausbildung und Qualifikation wert legen. Jeder nicht übernommene Auslerner und jeder Ausgebildete, der den Betrieb ver-lassen muss, steht für auch für den
potenziellen Verlust von Qualität in der Zukunft. Dieter Knauß fordert daher zu einer Beschäftigungsbrücke auf. "Das Ausscheiden rentennaher Jahrgänge muss flexibler und sozialverträglicher geregelt werden.
Und: Es braucht wieder eine Förderung der Altersteilzeit, damit Auszubildende leichter übernommen und Hoch-schulabsolventen leichter eingestellt werden können."
AUTOREGION BRAUCHT ZUKUNFTSWEISENDE INDUSTRIEPOLITIK
Bereits in der Krise Anfang der 1990er Jahre gab es einen Umsatzeinbußen und einen deutlichen Arbeitsplatzabbau. Allein im direkten Automobilbau verloren zwischen 1990 und 1996 mehr als 25.000 - ein Fünftel (!) - der
Beschäftigten im Automobilbau ihren Arbeits-platz. Diese Arbeitsplätze konnten auch in den Boom-Jahren nicht mehr zurück geholt wer-den.
Damit sich das nicht in einem breiteren Stil wiederholt, fordert Dieter Knauß den Struktur-wandel politisch zu gestalten: "Klimaschutz und Technologiewandel werden die industrielle Wertschöpfung in der Region Stuttgart
prägen müssen. Vor diesem Hintergrund ist ein aktiver (ökologischer) Umbau der Industrie notwendig. Dort, wo dieser Wandel Arbeitsplät-ze gefährdet, braucht es belastbare Szenarien und Konzepte für
alternative Beschäfti-gung." Kernelemente müssen dabei die Bestandsicherung und die Innovationsförderung sein. Dies bedarf gemeinsamer Anstrengungen von Gewerkschaften, Unternehmen und Politik.
Ansprechpartner zum Thema:
Dieter Knauß, Sprecher der IG Metall Region Stuttgart
07151/95260
dieter.knauss@igmetall.de
Ansprechpartnerin für Presse und Öffentlichkeitsarbeit:
Jordana Vogiatzi
Tel.: 0711/16278-32
Mobil: 0160/5330314
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Letzte Änderung: 30.11.2009